Die Bewohner auf griechischen Ägäisinseln wie Lesbos, Samos und Chios erinnern sich noch gut an die große Flüchtlingskrise vor zehn Jahren. 2015 und 2016 strömten binnen weniger Monate 2,3 Millionen Migranten in die Europäische Union. Drei Viertel von ihnen kamen aus der Türkei über Griechenland. Damals gingen an manchen Tagen auf den griechischen Inseln 10.000 Menschen an Land.
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So weit ist es noch nicht, aber die Zahlen steigen. In den ersten elf Monaten 2024 kamen nach Angaben des Ministeriums für Migration und Asyl 51.560 irreguläre Migranten in Griechenland an. Das war ein Anstieg von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im November stieg die Zahl der Ankünfte sogar um 55 Prozent.
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Der Trend hat sich im neuen Jahr weiter fortgesetzt: In der ersten Januarwoche erreichten 446 Asylsuchende Griechenland. Am Mittwoch griff die Polizei weitere 124 irreguläre Migranten auf der Insel Karpathos auf. Es gab auch die ersten Todesopfer im neuen Jahr: Beim Untergang eines Migrantenboots östlich der Insel Rhodos ertranken am vergangenen Wochenende mindestens zwei Menschen.
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Vor allem auf Kreta gehören jetzt Migrantenfamilien wieder zum Stadtbild. Früher kamen die meisten Schutzsuchende auf den Ägäisinseln Lesbos, Samos, Chios und Kos an. Aber nachdem die griechische und die türkische Küstenwache ihre Patrouillen in der Ägäis verstärkt haben, steuern die Schleuser immer häufiger die kleine Insel Gavdos vor der Südküste von Kreta an. Die Boote kommen aus Ägypten und Libyen.
Geflüchtete werden nach Kreta gebracht
Gavdos, Griechenlands südlichste Insel, hat nur etwa 150 ständige Einwohner und keine Möglichkeiten, Ankömmlinge zu versorgen. Die Migranten werden deshalb nach Kreta gebracht. Dort hat sich die Zahl der Asylsuchenden in den ersten elf Monaten 2024 gegenüber dem Vorjahr von 839 auf 4485 mehr als verfünffacht. In der ersten Januarwoche entfielen bereits mehr als die Hälfte aller Ankünfte auf Kreta. Weil es dort bisher kein Aufnahmelager gibt, werden die Menschen zunächst notdürftig versorgt. Dann bringt man sie zur Bearbeitung ihrer Asylanträge in Lager auf anderen Inseln oder dem Festland.
Bamf stoppt vorerst Asyl-Entscheidungen von Syrerinnen und Syrern
Anträge können jedoch nur angenommen oder abgelehnt werden, wenn das Bundesamt die Lage genau einschätzen kann.
Quelle: dpa
Bei den Asylanträgen stellen Syrer mi 31 Prozent die größte Gruppe, gefolgt von Schutzsuchenden aus Afghanistan und Ägypten. Wie der griechische Migrationsminister Nikos Panagiotopoulos kürzlich erklärte, wollen die meisten der in Griechenland ankommenden Asylsuchenden nicht dort bleiben, sondern in andere europäische Länder weiterreisen. Beliebtestes Ziel ist Deutschland wegen der großzügigen Sozialleistungen.
Faeser mit Griechenland in Kontakt
Das Thema Migration stand im Mittelpunkt eines Besuchs von Bundesinnenministerin Nancy Faeser Anfang Dezember in Athen. Dabei ging es auch um die Frage, wie die EU ihre Außengrenzen besser schützen kann. Gerade hier befindet sich Griechenland aber in einem Dilemma: Einerseits fordern die EU-Partner eine wirksame Sicherung der Grenzen, andererseits kritisieren sie sogenannte Pushbacks, das Abweisen oder Zurückdrängen von Schutzsuchenden. Die griechische Regierung bestreitet die Vorwürfe.
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Am Dienstag entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass Griechenland wegen eines Pushbacks 20.000 Euro Schadensersatz an eine Türkin zahlen muss. Griechische Polizisten hatten die Frau 2019 am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros aufgegriffen, als sie nach Griechenland zu fliehen versuchte. Sie war in ihrer Heimat wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, die die türkische Regierung als Terrororganisation einstuft, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Frau berichtete, sie habe keine Gelegenheit bekommen, einen Asylantrag zu stellen, sondern sei von vermummten griechischen Grenzschützern ans türkische Ufer des Grenzflusses zurückgebracht und dort festgenommen worden.
Vertreter der griechischen Regierung bestritten vor Gericht die Vorwürfe und argumentierten, die griechische Grenzpolitik stehe im Einklang mit dem Völkerrecht. Die Richter kamen jedoch zu dem Schluss, dass Griechenland am Evros seinerzeit Schutzsuchende systematisch und massenhaft in die Türkei zurückgeschickt und damit gegen das internationale Recht vorstoßen habe.