Die Gaswirtschaft appelliert an die künftige Bundesregierung, neue Akzente in der Energiepolitik zu setzen. „Wir brauchen eine andere Fokussierung in der Energiewende. Deutschland ist aus geregelter Leistung ausgestiegen, ohne ausreichend in flexible Kapazitäten zu investieren, das könnte die Versorgungssicherheit mittel- und langfristig gefährden“, warnte der Geschäftsführer des Branchenverbands Gas- und Wasserstoffwirtschaft, Timm Kehler, in einem Gespräch mit der F.A.Z. So gebe es eine Diskussion um die Stilllegung von Gasnetzen, obgleich Erdgas nach wie vor der wichtigste Energieträger für die Industrie und für viele Mittelständler sei.
„Man kann nicht das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ausrufen, wenn es gleichzeitig an günstigem Strom fehlt, an Wasserstoff und an der CCS-Technik, also an Möglichkeiten zum Abscheiden, zum Transport und zur Speicherung von CO₂.“ Kehlers Verband hieß bisher „Zukunft Gas“ und hat sich jetzt umbenannt. An diesem Donnerstag veröffentlicht er eine „Zukunftsagenda Energie“ mit zehn Punkten für den Bundestagswahlkampf, die der F.A.Z. vorab vorlag.
„Wir brauchen mehr Resilienz, um wettbewerbsfähig zu bleiben“
Darin fordert die Branche unter anderem eine „Grüngasquote“ für die Beimischung von CO₂-armen Gasen. Nur so lasse sich der Gassektor „defossilisieren“, darunter der Wärmemarkt. Neben der Wasserstoffwirtschaft müsse auch die inländische Biomethanproduktion ausgebaut werden. Die Politik dürfe nicht einseitig auf Ökostrom setzen, schließlich würden 80 Prozent des Energieverbrauchs nicht durch Elektrizität gedeckt. „Grüne Elektronen“ und „grüne Moleküle“ seien gleichermaßen unerlässlich, es gehe darum, den Klimaschutz mit dem Erhalt der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstands in Einklang zu bringen.
Kehler erinnerte daran, dass Gas auch eine zentrale Rolle für den Strom spiele. „Günstiges Gas bedeutet günstiger Strom.“ Die Preise seien weiterhin sehr hoch, und der Energiemix erweise sich international als „alles andere als CO₂-arm“. Für die Versorgungssicherheit und die Preisstabilität müsse die Gasbeschaffung ausgeweitet werden: „Bisher ist der deutsche Gasimport teuer, kurzfristig und auf wenige Anbieter ausgerichtet, damit bewegen wir uns auf sehr dünnem Eis“, so Kehler. „Wir brauchen mehr Resilienz, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Die aktuelle Versorgung hält Kehler zwar für gesichert. „Wir haben aber keine verlässliche Perspektive für die nächsten vier oder fünf Jahre.“ Seit dem Ende der russischen Lieferungen bestehe eine Abhängigkeit von Norwegen und den Europipelines, über die 35 Prozent des Gases kämen. „Gegen den Ausfall dieses Stranges sind wir nicht gewappnet“, warnte Kehler und verwies auf die Sprengung von Nordstream. „Kritische Infrastruktur kann sabotiert werden, das gilt auch für unsere internationale Gasversorgung.“ Die Beschaffung sei daher zeitlich und räumlich zu diversifizieren: „Norwegen ist ein sehr verlässlicher Partner, aber auch die Achillesferse unserer Energieversorgung.“
Ruf nach mehr Partnerschaften und LNG-Terminals
Kehler plädierte für neue langfristige Energiepartnerschaften mit Qatar und den USA. Die Verhandlungen litten darunter, dass die Bundesregierung das Narrativ verbreite, aus Gas auszusteigen, sodass sie sich nicht als Kunde empfehle. Dabei habe Gas in Deutschland eine Zukunft, wenn man an die Herstellung blauen Wasserstoffs, an CCS oder an die Notwendigkeit denke, „Back-up-Kapazitäten“ für erneuerbare Energien aufzubauen.
Um künftig mehr Gas anzulanden, sollte man Kehler zufolge mehr Flüssiggasterminals (LNG) bauen. „Da ist viel passiert, aber es reicht nicht für ein großes Industrieland.“ Die Terminalgebühren seien zu hoch, sodass Tanker lieber Häfen in Holland oder Belgien ansteuerten. Die hohen Tarife und die Ausbauverzögerungen lägen unter anderem an der Bürokratie: „Die Deutschland-Geschwindigkeit von 2022 ist in einigen Behörden leider wieder einer Deutschland-Lethargie gewichen.“
Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung, die den Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke als Sicherheit gegen Dunkelflauten vorsieht, sei aus dem Zeitplan geraten, monierte Kehler. Es sei nicht mehr denkbar, dass schon von 2025 an neue Anlagen ausgeschrieben würden: „Damit ist ein vorgezogener Kohleausstieg im Jahr 2030, der der Klimaneutralität bis 2045 zugrunde liegt, nicht möglich.“
Der Verband fordert insgesamt mehr Technologieoffenheit und Marktorientierung. Das zentrale Klimainstrument müsse der CO₂-Preis sein. Das umstrittene Heizungsgesetz GEG gelte es zu öffnen und zu vereinfachen, es müsse sich am CO₂-Fußabdruck des Gebäudes orientieren. Die neue Carbon-Management-Strategie müsse schnell verwirklicht und erweitert werden, etwa um die Förderung von Infrastruktur und um Kooperationen mit Speichern in Dänemark und Holland.
Im Schwerlastverkehr sei Bio-LNG die einzige Alternative zum Diesel; auch für Schiffe eigne es sich. Ganz wichtig sei es, die Verteilnetze für Gas nicht übereilt stillzulegen, sondern deren ökologische Transformation finanziell abzusichern: „Insbesondere für den Mittelstand und 1,8 Millionen gewerbliche Verbraucher sind die Verteilnetze – als Wasserstoffnetz oder beispielsweise mit Biomethan – elementar für die Energieversorgung.“