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China ist weltgrößter Lieferant von Spielwaren. Aber hinter niedlichen Puppen und bunten Bausteinen wird mit harten Bandagen um den Profit gekämpft – umso mehr, seit Billig-Onlinehändler wie Temu mitmischen.
Es sieht aus wie der wahr gewordene Traum eines Zwölfjährigen: eng gestellte Regale mit Spielzeug, soweit das Auge reicht. Vom kleinen Doppeldeckerflugzeug für Dreijährige bis hin zur Spielzeugdrohne. Vieles, was in deutschen Spielzeugläden oder Einkaufsportalen im Internet angeboten wird, findet sich hier. Ausgestellt auf vier Stockwerken, auf rund 22.000 Quadratmetern.
Allerdings werden in dem vermeintlichen Spielzeugparadies keine Kinderwünsche erfüllt, sondern es wird hart verhandelt. Aus der südchinesischen Stadt Shantou kommt ein Großteil des Plastikspielzeugs weltweit, produziert von Tausenden, meist kleinen und mittelständischen Firmen. Sie zahlen eine Gebühr, um ihre Waren auf den Ausstellungsflächen zu präsentieren.
Händler kaufen containerweise ein
Dorthin kommen Großhändler aus aller Welt und kaufen ein, meist containerweise. Der Besuch ist durchgetaktet. Eine Händlergruppe aus Pakistan schiebt einen Einkaufswagen vor sich her und füllt ihn mit verschiedenen Spielzeugautos. Eine Showroom-Mitarbeiterin scannt die Waren ein und lässt per Funk schon mal Produzenten kontaktieren – für die Preisverhandlungen später auf einem Stockwerk mit Separees. “Yao Sheng Win-Win-Showroom” nennt sich die Ausstellungshalle.
Vier Arbeiterinnen verpacken in der Stadt Shantou Spielzeuge.
Doch die Gewinne – vor allem für die Produzenten – geraten zunehmend unter Druck. Vieles was in Europa am Ende für 20 Euro angeboten wird, kostet im Einkaufspreis weniger als zwei Euro.
“Wenn ich meine Kinder hierher mitbringe, fragen sie mich manchmal: ‘Papa, warum ist das so billig?'”, sagt Tony Chen, der die Branche seit Jahren kennt. Wie viele, die in Shantou aufgewachsen sind, verdient er sein Geld mit Spielzeug.
Er ist Handelsagent, bietet sich ausländischen Einkäufern als Makler an, um bei den Verhandlungen mit chinesischen Produzenten zu vermitteln. “Viele Einkäufer wollen den Preis drücken. Die Produzenten sagen dann ‘Gut – dafür bekommst Du dann aber eine billigere Verpackung – oder wir sparen an der Farbe oder am Material’.” Vor allem seitdem Plattformen wie der Billig-Onlinehändler Temu am Markt aufgetaucht sind, wächst der Druck auf Produzenten, immer billiger anzubieten.
Der Handelsagent Tony Chen mit zwei Spielzeugpistolen
Preisdruck durch Temu viel stärker
Chen erklärt das am Beispiel mehrerer Wasserpistolen. Die teure kostet 30 Cent, die billige zehn Cent im Einkauf. “Die sehen gleich aus. Aber bei einer hat der Produzent dünneres Plastik verwendet und sie schlechter verarbeitet. Das reicht für das Bild auf der Onlineseite – aber wenn man sie dann anfasst, spürt man die Qualitätsunterschiede, das zerbrechlichere Material”.
Die Online-Plattform Temu ist in die Kritik geraten, weil über sie immer wieder Produkte nach Europa geraten, die so billig produziert sind, dass sie nicht EU-Standards entsprechen. Das ist möglich, weil Anbieter die Ware in einzelnen Paketen direkt aus China an europäische Verbraucher schicken. Weil Hunderttausende Temu-Päckchen täglich in Deutschland ankommen, kann der Zoll nur Stichproben kontrollieren. Wird ein Paket aus dem Verkehr gezogen, ist der Verlust für die Händler gering.
Produziert wird für die ganze Welt
Anders bei Großkunden, die containerweise kaufen. Sie stehen unter Druck sicherzustellen, dass alle Prüfsiegel stimmen – sonst laufen sie Gefahr, dass ganze Containerladungen beschlagnahmt werden und sie Zehntausende Euro verlieren.
Im Industriegebiet von Shantou steht Unternehmer Yifeng in seiner kleinen Produktionshalle, die er angemietet hat. Im Erdgeschoss stehen Stapel mit Metallformen, um Plastikteile zu gießen. Im ersten Stock setzen Wanderarbeiter die produzierten Räder, Rollen und Hebel zu Spielzeug-Lastwagen und Kränen zusammen. “Das Geschäft lief früher besser”, sagt er. “Wir können bei den niedrigen Preisen nur über Masse noch Profit machen.” Für die ganze Welt produziert er – in jedem Land gelten andere Standards.
Ob dann ein Produkt für den afrikanischen Markt aber am Ende in Europa landen könnte? “Das ist Sache der Zwischenhändler”, sagt er. “Die kaufen bei uns – wo die das dann hinschicken, das ist nicht unsere Sache. Im Zweifel ist das sogar ihr Geschäftsgeheimnis”.
Diverse Prüfsiegel schon aufgedruckt
Auf vielen Verpackungen sind bereits die Prüfsiegel für viele Weltregionen aufgedruckt. “Das ist das, was die Zwischenhändler verlangen”, erklärt Yifeng. Ob das Produkt aber am Ende den Anforderungen entspricht, ist unklar.
Temu wird vorgeworfen, die Qualitätsstandards nicht ausreichend zu kontrollieren. Die EU hat angekündigt, das Geschäft der Plattform nun stärker zu reglementieren, Kontrollen zu verstärken und Schlupflöcher in den Zollbestimmungen zu schließen, durch die dem Staat Milliarden entgehen.
Handelsvermittler Tony Chen kennt die Diskussionen. “Am Ende bestimmen diejenigen, die das Spielzeug kaufen, in welcher Qualität hier produziert wird”, sagt er. Und damit, ob die Spielzeuge nur auf Fotos gut aussehen oder in Kinderhänden lange halten.