Es war an Heiligabend gegen 14.30 Uhr, als der Brand in einem Bewohnerzimmer im dritten Stock ausbrach. Als die Feuerwehr eintraf, sei bereits dichter Rauch aus dem Zimmer gequollen, erklärt ein Sprecher. Während die einen Rettungskräfte anfingen zu löschen, brachten andere etwa 70 Bewohner in Sicherheit. Auch Pflegekräfte und Besucher des Vincentinum hätten bei der Rettung mitgeholfen, berichtet der Feuerwehrsprecher. Die Rettung habe gut geklappt. Die Ursache des Feuers ist noch nicht bekannt. Es dauere, bis die Brandfahnder der Polizei das Gebäude betreten können. Die Polizei beziffert den Sachschaden auf mehr als eine Million Euro. Vorübergehend wurden in der Umgebung die Anwohner gebeten, wegen des Rauchs Fenster und Türen geschlossen zu halten.
Der Brand habe sich rasch auf den Dachstuhl ausgebreitet und von dort aus auf den historischen Glockenturm. Er steht dort, wo die beiden L-förmigen Gebäudeteile des Vincentinum aneinanderstoßen. Auf einem Foto, das ein SZ-Leser kurz nach Ausbruch des Feuers gemacht hat, ist zu sehen, wie der Glockenturm lichterloh brennt.
Der Gebäudetrakt, der im rechten Winkel zur Oettingenstraße steht, ist laut Feuerwehr nicht mehr bewohnbar. Am Dienstagabend wurden die Seniorinnen und Senioren, die nicht mehr in ihre Zimmer zurückkehren konnten, in andere Heime gebracht, manche kamen laut Feuerwehr bei Verwandten unter. Der Trakt an der Reitmorstraße sei weiter bewohnbar.
Der Sprecher berichtet, dass 120 Feuerwehrleute, darunter auch welche von der Freiwilligen Feuerwehr, durchgehend am und im Vincentinum waren. Weil der Einsatz so lange dauerte, wurde durchgewechselt. Auch 60 Kräfte von Rettungsdiensten waren mobilisiert worden.
Erst am Abend sind die Flammen gelöscht
Während bei den meisten Menschen in München die Bescherung stattfindet, harren Dutzende Seniorinnen und Senioren im Vincentinum aus. Die einen im unversehrten Trakt an der Reitmorstraße, die anderen in einem Saal in einem Gebäude der Technischen Universität an der Oettingenstraße. Dort sieht man durchs Fenster zahlreiche betagte Menschen, einige haben einen Rollator dabei, manche sitzen im Rollstuhl. Hilfskräfte sind anwesend und versorgen sie.
Es ist 17 Uhr an Heiligabend, die großen Flammen sind gelöscht, doch immer wieder lodern kleinere auf, und unablässig qualmt es aus dem Dach. Fünf Drehleitern hat die Feuerwehr im Einsatz und einen Hubrettungswagen. Dessen Korb ist flexibler einsetzbar als der einer Drehleiter.
An der Fassade ist Löschschaum heruntergelaufen, rund ums Vincentinum ist alles voll davon. Im Hof türmt sich der Schaum an einer Stelle kniehoch. Vielleicht würde die wie Schnee wirkende Masse auch bis zur Hüfte reichen, wenn man hineinginge.
Von unten aus erkennt man immer wieder Lichtschein durch die Fenster in den oberen Stockwerken. Feuerwehrleute schauen sich mit Taschenlampen in den dunklen Räumen um. Einmal hört man lautes Klopfen, vermutlich brechen Feuerwehrleute irgendwo im Gebäude etwas auf. Vom Korb einer Drehleiter aus hantieren andere mit einer langen Stange. So brechen sie von außen manches Fenster auf oder öffnen das Dach weiter. Die Schneegitter kurz oberhalb der Dachrinne tun einen guten Dienst. Sie verhindern, dass noch mehr Dachziegel nach unten stürzen.
Das Gebäude steht unter Denkmalschutz
Das Vincentinum, zwischen Englischem Garten und Isar gelegen, ist laut der Homepage das älteste Seniorenheim in München. Das Gebäude sei Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden, es steht unter Denkmalschutz. Über einem Eingang an der Reitmorstraße ist über dem Kopf eines Engels in römischen Ziffern das Jahr der Fertigstellung vermerkt: 1903. Betrieben wird das Haus vom St. Vincentinus-Zentralverein.
Ein älterer Bewohner des Wohnhauses, das an den betroffenen Trakt des Vincentinum anschließt, steht auf einem Fußweg und schaut nach oben. Er erzählt, dass in ihrem Haus gegen halb drei nachmittags die Rauchmelder angeschlagen hätten. Gesehen oder gerochen habe er da noch nichts, aber auf jedem Stockwerk habe es gepiept. Ihr Haus habe ein gemeinsames Treppenhaus mit dem Vincentinum. Er wirkt, als könne er noch immer nicht glauben, was er ein paar Stunden zuvor gesehen habe. Diese Flammen!
Wenn die an den Rettungskörben montierten Scheinwerfer übers Dach gleiten, ahnt man in der Dunkelheit das Ausmaß des Brandes. Die eine Hälfte des Dachstuhls des betroffenen Trakts ist eingestürzt, die andere Hälfte hält noch, ist aber schwer in Mitleidenschaft gezogen. Immer wieder steigt eine Drohne auf, sie blinkt rot und grün, so machen sich die Rettungskräfte ein Bild von oben. Von unten sieht man, dass in einigen Zimmern des nicht betroffenen Teils des Vincentinum Licht brennt. In einem leuchtet einer dieser vielzackigen Herrnhuter Sterne.
Die Oettingenstraße ist für den Verkehr gesperrt. Bis zur Prinzregentenstraße stehen Fahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdiensten. Gegen Abend, da läuft der Einsatz bereits drei, vier Stunden, werden zwei mobile Toiletten auf dem Gehweg aufgestellt, und auf der Fahrbahn der Oettingenstraße wird eine Feldküche aufgebaut. Die vielen Kräfte brauchen etwas zu essen und zu trinken.
Verschiedene Rettungsdienste sind im Einsatz. Ein Sprecher der Johanniter erklärt, dass der Einsatz vor allem von Ehrenamtlichen geleistet werde. Das komme in München recht selten vor, weil es eine so große hauptamtliche Struktur gebe. Aber bei diesem Ausmaß seien die Ehrenamtlichen nötig, schließlich müsse trotz des Großeinsatzes das normale Notfallgeschehen bewältigt werden, und das übernähmen wie üblich die Hauptamtlichen.
Gegen sieben Uhr abends steht auf der Prinzregentenstraße eine Schlange von Krankenwagen. In ihnen werden nach und nach die Senioren weggefahren, die im betroffenen Trakt ein Zimmer haben. Auch das gehört zu einem solchen Einsatz in einer so besonderen Einrichtung: Wenn die Menschen in Sicherheit sind, muss geklärt werden, wo sie bleiben können. Für all die Rettungskräfte dürfte es einer der größten und aufwändigsten Einsätze der vergangenen Jahre sein, er erfordert viel Sensibilität angesichts der vulnerablen und betagten Menschen.
Der Leiter des Vincentinum ist auch da, er bespricht sich mit anderen. Für Auskünfte stehe er noch nicht zur Verfügung, sagt er, auch nicht am ersten Weihnachtstag, zuerst müssten die Bewohner versorgt werden.
Am Morgen danach wird das ganze Ausmaß sichtbar
Am Morgen danach qualmt es immer noch aus dem historischen Glockenturm. Es bildet sich eine schwache Rauchfahne. Unter einem blauen Himmel erkennt man jetzt besser das Ausmaß der Zerstörung. Die Zeiger der großen Uhr am Glockenturm sind kaum mehr zu erkennen. Es sieht aus, als seien sie an Heiligabend um Dreiviertel drei stehen geblieben, eine Viertelstunde nach Ausbruch des Feuers. Wo der Turm auf dem Dach aufsitzt, kann man durch ihn hindurchschauen. Wie stabil ist das Gebilde noch? Der Feuerwehrsprecher sagt, dass der Turm vermutlich abgetragen werden müsse. Noch sei es nicht endgültig geklärt, aber aus Sicherheitsgründen dürfte die Demontage nötig sein.
Die meisten Feuerwehrautos sind abgezogen, der Löschschaum hat sich weitgehend aufgelöst. Am Eingang zum Hof des Vincentinum steht das Wasser knöchelhoch. Auf einer Wiese im Hof steht verlassen ein elektrisches Fahrzeug mit vier Rädern, wie es Senioren gerne benutzen, so sind sie mobiler als im Rollstuhl. An der Reitmorstraße fahren Feuerwehrleute mit einer Hubrettungsbühne nach oben und betrachten den Turm von außen. Die Drohne vom Abend ist weiter im Einsatz.
Immer wieder bleiben Passanten rund ums Vincentinum stehen und blicken still nach oben. Die einen sind mit dem Hund Gassi, die anderen machen beim Joggen kurz Halt. Eine Mutter trägt ihr Kind auf dem Arm, es ist begeistert ob so viel Feuerwehr. Zwei Feuerwehrleute begleiten Mutter und Kind zu einem Fahrzeug und erklären ein bisschen was.
Es ist kalt. An manchen Stellen ist die Oettingenstraße glatt, Löschwasser ist über Nacht gefroren. Viele Feuerwehrleute sind jetzt mit Aufräumen beschäftigt. Sie rollen die zahllosen, neongelb leuchtenden Schläuche ein, legen Äxte dazu und laden dann alles auf einen Lastwagen mit großer Ladefläche. Der Einsatz, sagt der Sprecher der Feuerwehr, werde vermutlich noch den ganzen ersten Feiertag andauern.