Die entscheidende Frage ist doch: Darf sich die Union in dieser Weise von anderen Parteien abhängig machen? Müssen wir richtige, ja zwingend notwendige Maßnahmen in der Schublade lassen, weil auch die Falschen sie für richtig halten? Wir erleben gerade eine neue Dimension der Brutalität. Ein Kind ist auf offener Straße im Bollerwagen erstochen worden. Es ist höchste Zeit zu handeln. Die Menschen sind es leid, dass immer nur geredet wird, aber nichts passiert. Wir wollen das Land wieder sicherer machen. Und dafür erfahren wir aus der Bevölkerung eine große Zustimmung.
Wir stehen zu unserem Wort. Wir werden mit der AfD nicht zusammenarbeiten. Wer Friedrich Merz diese Woche im Plenum zugehört hat, kann daran keinen Zweifel haben.
Am Freitag könnte die AfD sogar einem Gesetz der Union zur Begrenzung des Zustroms von Migranten zustimmen.
Wir haben SPD, Grüne und FDP aufgefordert, mit uns für mehr Sicherheit zu sorgen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, wir taktieren nur herum, dann verlieren sie doch das Vertrauen in die Politik. Dann ist es wie bei Olaf Scholz: eine Regierungserklärung nach der anderen, aber es folgt nichts. Wenn jetzt sogar Dietmar Woidke „echte Korrekturen in der Migrationspolitik“ fordert, kann ich das nur als Aufruf an seine eigene Partei – die SPD – verstehen.
Aber ist das nicht Haarspalterei? Zu sagen, wir arbeiten nicht mit denen zusammen, aber Anträge und einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen, die nur mit der AfD eine Mehrheit finden?
Nein. Es gab keine Ab- und Rücksprachen mit der AfD, und die wird es auch nicht geben. Auch der Bundeskanzler hatte dazu bis vor Kurzem noch eine andere Haltung. „Das ist doch keine Zusammenarbeit. Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt“, hat er gesagt. Dass die SPD jetzt versucht, uns in die Extremisten-Ecke zu stellen, ist verlogen. Es soll von ihrer eigenen Kraftlosigkeit ablenken. Wir haben unsere Anträge eingebracht. Das sind unsere Überzeugungen, die wir da auf den Tisch legen. Uns geht es um die Sache.
Mittwoch hat vor allem ein Scheitern von SPD und Grünen in Sachen Migration und innerer Sicherheit gezeigt. Leider haben SPD und Grüne sich geweigert, mit uns für mehr Sicherheit zu sorgen. Von SPD und Grünen kam nicht ein konstruktiver Vorschlag. Und natürlich wird es jetzt um die Abstimmung über unseren Gesetzentwurf gehen. Wir fordern die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte – also Menschen, die keinen dauerhaften Bleibeanspruch bei uns haben. Wir wollen, dass das Wort „Begrenzung“ als Ziel im Aufenthaltsgesetz wieder aufgenommen wird. Und wir wollen die Befugnisse der Bundespolizei erweitern, damit Straftäter wirksamer ausgewiesen werden können. Ich verstehe nicht, warum nicht wenigstens die SPD da mitgehen kann.
Sie haben kein bisschen das Gefühl, dass die Union hier einen Tabubruch begangen hat, der der Demokratie schaden könnte?
Ganz im Gegenteil. Wollen wir ernsthaft dabei zuschauen, wie das Migrationsproblem die politischen Ränder immer größer macht? Ich will, dass wir das Problem aus der parlamentarischen Mitte heraus lösen. Wenn wir jetzt nicht endlich handeln, gibt es irgendwann keine parlamentarische Mitte mehr.
Weil er sich nicht in die taktischen Spielchen der anderen Parteien einreihen möchte. Nach Solingen wurde geredet, nach Magdeburg wurde geredet – jetzt muss gehandelt werden. Weil die Menschen von uns erwarten, dass wir nicht nur reden und etwas ankündigen, sondern konkret etwas tun. Nur so kommt Vertrauen in die Politik zurück.
Empfinden Sie die vielen Beileidsbekundungen von Politikern nach jedem Attentat inzwischen als hohle Phrasen?
Es ist wichtig, an dem Tag, an dem etwas passiert, so zu reagieren. Aber wenn es am Tag darauf heißt, der Rechtsstaat muss durchgreifen und man am dritten Tag wieder zur normalen Tagesordnung übergeht, dann wird es hohl.
Hat Sie Ihr Parteivorsitzender nach Ihrer Meinung gefragt, bevor er ankündigte, Anträge in den Bundestag einzubringen?
Klar, wir stimmen alles ab. Was ich besonders schätze: Friedrich Merz folgt seinen Überzeugungen.
Jetzt gehen die Umfragewerte für die Union runter. Was bedeutet das für Ihre Entschlossenheit?
Wieder so eine taktische Frage.
Sie denken nicht taktisch drei Wochen vor der Bundestagswahl?
Natürlich schaue ich mir auch Umfragewerte an. Und jeder Politiker, der sagt, mich interessiert nur der Wahlsonntag, das sind die echten Ergebnisse, der ist nicht ehrlich. Aber ich bin sicher, dass die Menschen es am Ende honorieren, wenn Politik nach Überzeugungen handelt.
Ist unsere Demokratie an einer Weggabelung angekommen, wo sich entscheiden wird, ob sie dauerhaft gestärkt überlebt oder ob sie erodiert?
Das steht zu befürchten. Wir müssen uns nur in Europa umschauen. Da sehen wir, was passiert, wenn die Politik sich nicht um die wahren Probleme der Menschen kümmert. Das sind vor allem drei Fragen: Lebe ich sicher? Ist mein Geld sicher? Ist mein Arbeitsplatz sicher?
Aber in anderen Ländern wie Polen oder Italien ist die Demokratie auch nicht gleich am Ende, weil äußerst rechte oder rechtspopulistische Parteien an der Regierung sind. Die Briten sind sogar aus der Europäischen Union ausgetreten, und jetzt ist ihr Verhältnis zu Europa und Deutschland wieder recht gut. Wird es unweigerlich auch irgendwann bei uns so weit sein?
Ich will Deutschland nicht zum Spielball von Extremisten machen. In Dänemark sieht man, dass die Sozialdemokraten die äußere Rechte wieder klein gemacht haben. Wenn man die Probleme wirklich angeht, entzieht man Extremisten den Nährboden. Deshalb bin ich kein Freund davon, die Wähler der AfD allesamt als Nazis abzustempeln. Wir müssen aber mit klaren Argumenten deutlich machen, was uns, was jedem Einzelnen in diesem Land droht, wenn die AfD an die Regierung käme. Nehmen Sie nur das Schwadronieren in der AfD mit dem Begriff Remigration! Wenn es so weit käme, würde hier im Land nichts mehr funktionieren. Nicht mehr in der Gastronomie, in der Logistik, in der Pflege und anderen Bereichen. Und auffallend viele Menschen mit ausländischen Wurzeln sagen mir: Bitte bleibt jetzt hart in der Debatte! Denn wir wollen hier nicht unter Generalverdacht gestellt werden wegen einer Minderheit, die die Gesetze bricht und sich nicht an die Regeln hält.
In manchen Ländern in Ostdeutschland werden AfD-Abgeordnete schon in parlamentarische Gremien gewählt. Da wird die Brandmauer langsam zur Löschdecke.
Der Umgang mit der AfD ist – gerade in den ostdeutschen Bundesländern – für alle Parteien eine Herausforderung. Gerade das muss uns Mahnung sein, die drängenden Probleme aus der parlamentarischen Mitte zu lösen und nicht den Rändern zu überlassen.
Wenn die Union wieder eine Mehrheit im Bundestag hat mit einem Koalitionspartner oder mehreren, wird es dann einen Vizepräsidenten des Parlaments von der AfD geben?
Ich will die AfD klein machen.
Jeder Abgeordnete ist in seiner Wahl frei und nur seinem Gewissen verpflichtet. Mein Ziel ist es, diese Bundestagswahl zu gewinnen. Ich will die AfD marginalisieren und nicht über ihre Zukunft sprechen.
Wenn Sie jetzt sehen, dass Sie Ihre Vorstellungen in der Migrationspolitik mit SPD und Grünen nicht durchsetzen können, wie soll das dann nach der Wahl gehen? Einen von beiden werden Sie ja mindestens brauchen.
Das werden wir ja sehen. Jedem muss klar sein: Wenn wir die illegale Migration nicht aus der Mitte des Parlaments stoppen, dann werden bei der übernächsten Wahl die Ränder so stark werden, dass sie allein regieren können. Deswegen muss jetzt gehandelt werden.