Seitenlange Berichte, Eingeständnis vieler Fehler, Empfehlungen für die Zukunft: Die offizielle deutsche Politik schließt das Thema Afghanistan vorerst ab – gerade noch vor der Bundestagswahl. Am Freitag berät der Bundestag die Ergebnisse von über zwei Jahren Aufarbeitung. Wie es danach weitergeht, ist völlig ungewiss.
Dem Titel des am Montag vorgelegten Abschlussberichts zufolge sollte die 2022 vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission »Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands« ziehen. Das 113 Seiten lange Dokument listet 72 Empfehlungen auf, wie Auslandseinsätze gelingen könnten.
»Klare, gemeinsame Strategie« gefordert
An Kritik aus den Regierungsparteien am Afghanistan-Einsatz mangelte es nicht. So sprach die SPD-Obfrau in der Enquête-Kommission, Derya Türk-Nachbaur, von Konzeptlosigkeit beim deutschen Engagement. »Was wir brauchen: eine klare, gemeinsame Strategie«, sagte sie in einem Interview am Montag. Die Aufarbeitung durch die Kommission habe »gezeigt, dass wir Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung stärker verzahnen müssen – von der politischen Strategie bis zur Umsetzung«, sagte dazu Türk-Nachbaur. »Was wir nicht brauchen: Ministerien, die nebeneinander her arbeiten.«
Ähnlich sieht es auch die grüne Bundestagsfraktion. Deren Obfrau in der Enquête-Kommission, Schahina Gambir, sagte in einem Pressegespräch, »statt eines Nebeneinanders braucht es ein Miteinander« bei Auslandseinsätzen. Entsprechend heißt es in Empfehlung 22: »Es sollte ein vernetztes Lagezentrum zur Erstellung ressortübergreifender strategischer Lagebilder, Analysen und Vorausschau eingerichtet werden.« Empfohlen wird demnach, eine neue institutionalisierte Struktur zu schaffen, die ans Bundeskanzleramt angedockt sein soll.
»Statt eines Nebeneinanders braucht es ein Miteinander.«
Schahina Gambir
Obfrau der Grünen in der Enquête-Kommission
Aufgabe des zu schaffenden Lagezentrums soll »die tagesaktuelle Analyse und Bewertung sicherheitsrelevanter Entwicklungen« sein, heißt es im Abschlussbericht. Gemäß der in der Enquête-Kommission gewonnenen Erkenntnis, dass die Informationen über die Lage in Afghanistan nicht an einer zentralen Stelle zusammenflossen, steht die Bündelung von »Informationen aus bestehenden Lagezentren und Fachreferaten der Ressorts, darunter AA, BMVg, BMI, BMZ, BND, BfV und BSI« im Vordergrund, um ein »integriertes Gesamtlagebild« zu erhalten.
Der Fokus liege auf der Echtzeit-Beobachtung von Trends und der Identifikation sicherheitsrelevanter Ereignisse mit entsprechenden Handlungsempfehlungen. Das ist offensichtlich die Antwort auf die, euphemistisch ausgedrückt, »Überrumpelung« der Nato-Staaten in Afghanistan durch die Rückkehr der Taliban.
»Lage schöngeredet«
Katja Mielke vom Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), die die Arbeit der Enquête-Kommission wissenschaftlich begleitete, forderte, Maßnahmen zur Evaluierung von Auslandseinsätzen wie Fortschritts- und Wirkungskontrollen zukünftig zu institutionalisieren. Letzteres gab es im Falle Afghanistans »praktisch gar nicht, sodass man sich die Lage schönreden konnte«, konstatiert Mielke. Winfried Nachtwei, der als ehemaliger Abgeordneter den Einsatz in Afghanistan über Jahre verfolgt hat, wünscht sich in Konsequenz von den Bundestagsabgeordneten, die das Mandat für den Afghanistan-Einsatz immer wieder verlängerten, als Grundeinstellung »kritische Loyalität, nicht brave Folgsamkeit«. Er fordert die Einrichtung eines »vollwertigen Ausschusses«, der sich um Auslandseinsätze kümmert.
Ein wichtiger Punkt im Abschlussbericht betrifft die Kenntnis über die Zielländer von Auslandseinsätzen. Katja Mielke mahnt an, die Wissensproduktion zu den Einsatzorten zu verbessern, und fordert zudem, dass Hochschulen und außeruniversitäre Einrichtungen Fachkräfte in Außen- und Sicherheitspolitik ausbildeten.
Fokus auf lokales Wissen
Bei der Generierung von Wissen legt der Abschlussbericht den Fokus speziell auf lokales Wissen, das umfangreich aufbereitet und ausgewertet werden sollte. Das Wissen von Einsatzrückkehrern, Verbündeten und Partnern aus der Zivilgesellschaft solle gesammelt werden und in die weitere Planung einfließen.
Der Zwischenbericht hatte bereits moniert, dass afghanische Kultur und Tradition nicht in notwendigem Maße berücksichtigt worden seien. Schahina Gambir zieht eine persönliche Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz und der Aufarbeitung: »Wir können einem Land keine Demokratie aufzwingen. Wir können die Menschen lediglich beim Aufbau demokratischer Strukturen unterstützen.«