In der Krebsforschung gelten mRNA-Impfstoffe als große Hoffnungsträger, ermöglichen sie doch, das Immunsystem gezielt auf Tumorzellen zu trainieren. Nun erreichen einige der Wirkstoffe die letzte Prüfungsphase.
In der Corona-Pandemie wurden mRNA-Impfstoffe schlagartig berühmt. In Rekordzeit entwickelt, wirksam, kostengünstig und schnell auch in Massen produzierbar. Sofort richteten sich Hoffnungen auch auf medizinische Probleme jenseits von Infektionskrankheiten.
Vor allem auf die Behandlung von Krebs: Hier würden therapeutische Fortschritte dringend gebraucht, zudem wurden mRNA-Präparate auf diesem Gebiet schon lange vor der Pandemie erforscht. Doch auch gut vier Jahre nach Zulassung des ersten mRNA-Impfstoffs gegen Covid ist noch kein einziges derartiges Präparat in der Onkologie zugelassen.
An Studien mangelt es nicht: Das Mainzer Unternehmen Biontech testet nach eigener Darstellung derzeit mehrere Wirkstoffe in Phase-2-Studien – aber noch keiner hat bislang die für die Zulassung notwendige, langwierige Phase 3 erreicht.
US-Konkurrent Moderna hat einen Wirkstoff, mRNA-4157, nach eigenen Angaben in gleich zwei Phase-3-Studien: als Zusatztherapie jeweils gegen schwarzen Hautkrebs (Melanom) und gegen eine bestimmte Form von Lungenkrebs, das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (NSCLC).
Worum geht es? Die Boten-Ribonukleinsäure (mRNA; messenger ribonucleic acid) übermittelt in der Zelle die Baupläne für Proteine an die Eiweißfabriken. Die Covid-19-Impfstoffe von Biontech und Moderna enthalten die Codes für ein Protein auf der Hülle des Coronavirus SARS-CoV-2. Nach der Herstellung erkennt das Immunsystem dieses Eiweiß als fremd und bildet Antikörper und spezielle Abwehrzellen dagegen. So kann der Organismus im Fall einer Infektion den Erreger gezielt bekämpfen.
In der Krebsmedizin ist der Ansatz etwas anders: Hier geht es nicht um Schutz, sondern vor allem um Therapie bei einer bereits bestehenden Erkrankung. Dabei wird für einen Tumor ein spezieller Impfstoff individuell produziert und verabreicht.
Schlüssel zur personalisierten Krebs-Behandlung
Ziel ist die schon seit Langem beschworene personalisierte Medizin, also dass jeder Patient eine speziell maßgeschneiderte Therapie erhält. Dabei soll eine präzise Charakterisierung des jeweiligen Tumors dessen zentrale Veränderungen, die in gesunden Körperzellen nicht vorkommen, ermitteln. Die mRNA-Behandlung soll die Baupläne dieser sogenannten Antigene in die Zellen tragen, sodass das Immunsystem gezielt dagegen vorgehen kann. Soweit die Theorie.
In der Praxis erweist sich die Prüfung des Ansatzes als langwierig. Vor allem hat sich bisher gezeigt, dass die therapeutische mRNA-Behandlung Patienten in Ergänzung zu anderen, etablierten Therapien angeboten werden sollte – neben Operation wären dies Immuntherapie, Chemotherapie und Bestrahlung. Das liegt auch daran, dass man schwerkranken Menschen eine nachweislich wirksame Behandlung nicht vorenthalten kann.
Dirk Arnold, Chefarzt in der Asklepios Klinik Altona, testet den Ansatz im Rahmen einer internationalen Biontech-Studie gegen Darmkrebs. Diese prüft, ob eine mRNA-Impfung mit dem Wirkstoff BNT122 nach der operativen Entfernung eines Tumors dessen Rückkehr, im Fachjargon Rezidiv genannt, verhindern kann.
Eingeschlossen werden Patienten, in deren Blut nach dem Eingriff noch Tumor-Erbgut zirkuliert, was mit einem deutlich erhöhten Rezidiv-Risiko einhergeht. Während die Heilungsrate bei Darmkrebs-Patienten ohne Tumor-DNA im Blut bei über 80 Prozent liege, sinke sie bei Patienten, deren Blut noch Tumor-Erbgut enthält, auf unter 20 Prozent, erläutert Arnold.
Bevor die Impfung in Europa und den USA getestet wird, bekommen die insgesamt gut 200 Patienten eine Chemotherapie. Anschließend erhält ein Teil von ihnen mehrere mRNA-Impfungen mit Bauplänen für Proteine, die im jeweiligen Tumor eine wichtige Rolle spielen. So soll das Immunsystem im Blut zirkulierende Krebszellen abfangen.
Ob dies das Rezidiv-Risiko tatsächlich senkt, werde sich frühestens 2026 zeigen, sagt Arnold. Bei absehbar gutem Verlauf könnte die Phase-2-Studie dann direkt in eine Phase-3-Studie münden. „Das wird uns noch die ganze Dekade beschäftigen“, sagt Arnold. Biontech kündigte gerade an, erste Zwischenergebnisse Ende 2025 oder 2026 zu veröffentlichen.
mRNA-Therapie als Ergänzung
Krebsexperten wie Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sehen die Zukunft des neuen Therapieansatzes optimistisch. Für besonders spektakulär hält Halama eine kleine Studie zu Bauspeicheldrüsenkrebs, die im Mai 2023 in „Nature“ veröffentlicht wurde. Darin hatte ein Team um Vinod Balachandran vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York den Wirkstoff Autogene Cevumeran (BNT122, RO7198457) an 16 Patienten getestet, deren Tumor aus der Bauchspeicheldrüse entfernt worden war und die sich zusätzlich einer Chemo- und einer Immuntherapie unterzogen.
Bei acht der 16 Teilnehmer sorgte die Zusatzbehandlung für die Bildung spezieller Immunzellen gegen Bestandteile der jeweiligen Tumore. Bei sechs von ihnen entstand in der dreijährigen Nachbeobachtung kein Rezidiv. In der Gruppe, die nicht auf die Therapie ansprach, war es lediglich einer von acht, wie Biontech im vorigen April mitteilte.
Angesichts der extrem schlechten Prognose bei solchen Pankreas-Tumoren – Biontech gibt die fünf-Jahres-Überlebensrate mit acht bis zehn Prozent an – spricht Halama von einem „kleinen Wunder“. Zwar wird diese frühe Studie nun in die nächste Phase erst mal weiterentwickelt, aber: „Angesichts dieser Resultate ist die Erwartungshaltung sehr groß“, betont der Tumorimmunologe.
Das Moderna-Präparat mRNA-4157 (V940) wiederum könnte in absehbarer Zeit gegen schwarzen Hautkrebs, also Melanom, zugelassen werden, glaubt Halama. In einer Phase-2b-Studie wurde die Therapie an 157 Melanom-Patienten geprüft, denen der Tumor zuvor entnommen worden war. 107 von ihnen erhielten den Moderna-Wirkstoff zusammen mit dem Immun-Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab (Handelsname Keytruda), die übrigen 50 bekamen nur letzteren Wirkstoff.
Nach etwa zwei Jahren hatten unter der Kombinationstherapie 22 Prozent der Probanden einen Rückfall erlitten oder waren gestorben, in der Kontrollgruppe waren es 40 Prozent, wie ein Team um Jeffrey Weber von der New York University im Fachblatt „The Lancet“ schreibt. Auch nach drei Jahren war dieses Risiko bei der Kombibehandlung im Vergleich zur Monotherapie noch immer fast halbiert, wie das Team auf einem Krebskongress berichtete.
Inzwischen wird der Wirkstoff in zwei Phase-3-Studien getestet – gegen eine Form von Lungenkrebs und gegen Hochrisiko-Melanome. Tatsächlich hat die US-Arzneimittelbehörde FDA nach Angaben von Moderna und Merck für den Wirkstoff in Kombination mit dem Immun-Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für die Melanom-Therapie angekündigt.
Walter Willems, dpa/lpi