interview
Präsident Trump werde die USA in den kommenden vier Jahren fundamental verändern und die Demokratie des Landes aushöhlen, meint US-Experte Johannes Thimm. Dabei würden Käuflichkeit und Vetternwirtschaft seine Politik prägen.
tagesschau.de: Welche Ankündigung oder Handlung des neuen US-Präsidenten Trump fanden Sie bislang besonders bemerkenswert?
Johannes Thimm: Es ist bemerkenswert, dass Trump bei den Begnadigungen der Straftäter vom Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 fast alle eingeschlossen hat. Ich war nicht davon ausgegangen, dass er im Wesentlichen keinen Unterschied macht zwischen den gewalttätigen, zu langen Haftstrafen Verurteilten und denen, die wegen kleinerer Vergehen wie Hausfriedensbruch verurteilt wurden.
Es sind auch Leute freigekommen, die als Rädelsführer oder wegen massiver Gewalt gegen die Polizei zu langjährigen Haftstrafen verurteilt waren. Die meisten Maßnahmen in anderen Politikfeldern sind nicht komplett überraschend. Das heißt nicht, dass sie nicht Anlass zur Sorge geben.
Zur Person
Johannes Thimm ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Trump will “radikalen Bruch mit Biden-Regierung signalisieren”
tagesschau.de: Was für ein Signal will Trump mit seinen ersten Ankündigungen und Dekreten senden?
Thimm: Es gibt mehrere Ziele. Er will Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit demonstrieren. Und er will durch die hohe Zahl von Maßnahmen, Dekreten und Ähnlichem die Opposition überwältigen. In der ersten Amtszeit hatte er die Erfahrung gemacht, dass sich Dinge nicht so leicht durchsetzen lassen, wie er sich das zuvor naiv vorgestellt hatte. Jetzt demonstriert er, dass er sehr viel besser vorbereitet ist, effektiv und stark ist.
Zudem geht es ihm darum, einen radikalen Bruch mit der Biden-Regierung zu signalisieren. Ein Großteil der Maßnahmen sind ja Rücknahmen von Maßnahmen Bidens. Trump hat in seiner Antrittsrede die USA der Biden-Zeit übertrieben negativ als katastrophal, im Niedergang, fundamental problembehaftet beschrieben.
Und hat dann ebenso gewohnt übertrieben gesagt, dass jetzt alles gut werde und dabei eben alles Mögliche versprochen. Nun gibt es zunächst vier große Körbe von Maßnahmen: restriktive Migrationspolitik, Förderung fossiler Energie, Zölle und Verwaltungsreform.
“Angriff auf Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Kontrolle”
tagesschau.de: Nach dem, was bislang angekündigt wurde: Wie muss man sich die USA in vier Jahren vorstellen? Wie wird sich das Land allem Anschein nach verändern?
Thimm: Es wird fundamentale Verschiebungen in den USA geben. Es wird zu einem Angriff auf die Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Kontrolle kommen. Trump hat ein sehr expansives Verständnis präsidentieller Macht. Er ist nicht bereit, sich einschränken zu lassen durch Normen, Regeln, Gesetze.
Trump testet konstant, womit er durchkommt. Nicht alles, was er jetzt angekündigt oder beschlossen hat, wird Bestand haben. Es wird eine Rekordzahl von Klagen gegen seine Maßnahmen geben. Aber genug wird Bestand haben, um die USA fundamental zu verändern und die Demokratie auszuhöhlen.
Man muss nur das Beispiel dieser Straftäter vom 6. Januar nehmen: Es war der größte Aufwand des Justizministeriums, der Bundespolizei, der Behörden. 1.600 Leute wurden angeklagt, mehr als 800 Leute in Gerichtsverfahren nach rechtsstaatlichen Kriterien verurteilt. Staatsanwälte und Richter in Rekordzahl waren beteiligt – und alles wurde mit einer Unterschrift rückgängig gemacht. Das ist ein Affront gegen den Rechtsstaat.
Ich bin übrigens gespannt, ob sich das auf die Bereitschaft der Gerichte, Trumps Handlungen mitzutragen, auswirkt. Ob das nicht vielleicht eine Gegenreaktion der Justiz kreiert, weil sie sich durch diese Massenbegnadigung verhöhnt fühlen.
Ich mache mir auch Sorgen um weiter zunehmende Gewaltbereitschaft. Denn gerade die Begnadigung dieser Gewalttäter ist ja das eindeutige Signal Trumps: Wenn ihr bereit seid, für meine Sache Gewalt auszuüben, also mich zu unterstützen, indem ihr meine Gegner bedroht oder sogar gefährdet und verletzt, dann sorge ich dafür, dass euch nichts passiert. Da fehlen mir fast die Worte.
Zudem wird es in den USA Teile der Bevölkerung geben, die in Zukunft enorm negativ von Trumps Politik betroffen sein werden. Migranten werden in Angst und Schrecken versetzt massiv leiden. Transsexuelle und andere Menschen der LGBTQ-Community werden auch extrem negativ betroffen sein. Und es wird natürlich massive Auswirkungen auf die amerikanische Umweltpolitik geben. Das wird massive Konsequenzen, insbesondere für sowieso benachteiligte US-Bürger haben – aber auch für die Menschen außerhalb der USA.
Wird Trump politische Gegner verfolgen?
tagesschau.de: Trump hat angekündigt, die Politisierung der Justiz beenden zu wollen. Was bedeutet das?
Thimm: Das ist eine der großen offenen Fragen. Trump sieht sich als Opfer einer vermeintlichen Politisierung der Justiz durch die Biden-Administration. Die Tatsache, dass er so viele strafrechtliche Verfahren gegen sich laufen hatte, dass gegen ihn ermittelt wurde, sei ein Beispiel der Politisierung, der Instrumentalisierung der Justiz.
Das stimmt natürlich nicht, die Biden-Administration war sehr darum bemüht, die juristischen Normen einzuhalten und die Unabhängigkeit der Ermittlungen zu gewährleisten.
Jetzt ist die Frage: Dreht Trump den vermeintlichen Spieß um? Dabei ist eine weitere Aussage in Trumps Antrittsrede bemerkenswert. Da hat er explizit gesagt, dass er den Justizapparat oder die Behörden nicht nutzen möchte, um seine politischen Gegner zu verfolgen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm das glaube. Es könnte einfach ein taktisches Manöver sein, um die Leute, die er nominiert hat, für diese Ämter besser durch den Bestätigungsprozess im Senat zu bekommen.
Der nominierte FBI-Direktor Kash Patel hat aber in der Vergangenheit das Gegenteil angekündigt – und schon eine Liste von Leuten, von Regierungsmitgliedern, veröffentlicht, die strafrechtlich verfolgt werden sollten. Zuletzt hatte er sich davon zwar wieder distanziert, aber da bin ich mir nicht sicher.
“Das Weiße Haus als Prinzip Ebay”
tagesschau.de: Was bedeutet es, dass bei der Amtseinführung in der ersten Reihe erstmals mächtige Wirtschaftsbosse, vor allem aus der Tech-Branche, saßen? Was will Trump damit signalisieren?
Thimm: Das waren die Superreichen, die große Summen gespendet haben. Die saßen wohlgemerkt teilweise vor Trumps designierten Kabinettsmitgliedern. Neben den Tech-Bossen war da etwa Miriam Adelson, die Witwe des Casinomagnaten Sheldon Adelson. Sie hat, weniger beachtet als Elon Musk, auch 100 Millionen Dollar für Trumps Wahlkampf gespendet.
Das Signal ist natürlich klar. Rahm Emanuel, der ehemalige Stabschef von Barack Obama, hat das so formuliert, dass die Politik zum Verkauf steht. Das halte ich für eine treffende Einschätzung. Trump belohnt diejenigen, die ihm mit ihrem Vermögen zur Verfügung stehen und ihn unterstützen.
Emanuel hat es sogar noch drastischer formuliert und das Weiße Haus als das Prinzip Ebay bezeichnet: Wer am meisten bietet, kann sich was kaufen. Das wäre nicht meine Formulierung, aber dass Käuflichkeit, Vetternwirtschaft und Korruption eine enorme Rolle in der Trump’schen Politik spielen, das würde ich unterschreiben.
Das Gespräch führte Christoph Schwanitz, tagesschau.de.