D er chronisch klamme Stadtstaat Bremen darf den Fußball bei Hochrisikospielen zur Kasse bitten: Dieser Entscheid des Bundesverfassungsgerichts hat ein Beben ausgelöst. Welchen Rattenschwanz die Privatisierung von Polizeikosten nach sich ziehen könnte, wenn andere Bundesländer aufspringen, das lässt sich nur erahnen.
Denn Gesetze nach Bremer Vorbild – gewinnorientierte, gefahrgeneigte Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen müssen die Mehrkosten für zusätzliche Polizeikräfte tragen – könnten Karneval, Weihnachtsmärkte, Oktoberfest betreffen. Sie würden Teams bis hinunter in die Männer-Regionalligen treffen, außerdem Spiele im prekären Basketball oder Eishockey. Was das hieße? Weiß niemand.
Dabei ist es eine hervorragende Idee, den Fußball an den Mehrkosten zu beteiligen. Das Milliardenbusiness profitiert über alle Maßen von öffentlichen Geldern. Ob beim oft kostenintensiven Stadionbau, bei ÖPNV-Anbindung und Infrastruktur, bei der „Rettung“ misswirtschaftender Klubs, beim Sponsoring, bei Großturnieren wie der vergangenen EM mit allein 625 Millionen Euro Kosten für Steuerzahler:innen, bei millionenschweren TV-Einnahmen durch die Öffentlich-Rechtlichen oder eben Polizeikosten: Ohne Vater Staat würde kein Ball der Profis rollen.
Vielen Bürger:innen ist das Ausmaß dieser Querfinanzierung überhaupt nicht bewusst. Die Profite dagegen werden zu großen Teilen in die Taschen weniger Stars und Berater privatisiert. Das ist ein Skandal. Dass die Branche sich an ihren extrem hohen Polizeikosten – in den ersten beiden Männerligen galten zuletzt acht Prozent der Spiele als Hochrisikospiel, sie kosten 20 bis 30 Millionen Euro im Jahr – direkt beteiligen muss, ist deshalb erst mal emanzipativ.
Kleine Veranstalter berücksichtigen
Es ist auch Blödsinn, wenn sich der Männerfußball den Anschein gibt, er käme zur Fangewalt wie die Jungfrau zum Kinde: Die lokalen Rivalitäten und das Mackertum sind im Geschäftsmodell eingepreist. Nichts verkauft sich so gut wie emotionale Derbys, über deren Schattenseiten man sich anschließend entsetzt gibt. Das konkrete Bremer Gesetz allerdings hat große Lücken und Untiefen. Die Untergrenze von 5.000 Teilnehmenden ist völlig willkürlich und trifft auch Veranstalter, die sechsstellige Kosten nicht zahlen können.
Im Zweifel würden kleine Klubs für Risikospiele unter 5.000 Tickets verkaufen oder Geisterspiele abhalten – das ist sicher nicht gewollt. Ist eine Veranstaltung finanziell bedroht, könnte der Veranstalter wohl erfolgreich klagen. Bei konsequenter Anwendung droht eine Welle von Gerichtsstreits und endlose Bürokratie. Auch ist es unsinnig, dass ein Heimklub für randalierende Auswärtsfans zahlen soll.
Und zu befürchten ist, dass Veranstalter mehr Aufgaben an günstigere private Sicherheitsdienste auslagern und Kosten auf Teilnehmende abwälzen. Polizei als private Dienstleistung öffnet gefährliche Türen. Jenseits des Sports wird es nicht zuletzt ethisch schwierig: Warum sollte der Veranstalter eines Weihnachtsmarktes dafür zahlen, dass es eine islamistische Bedrohungslage gibt?
Momentan gleicht das Bremer Gesetz einer Flipperkugel: extrem willkürlich und mit gewaltiger Macht, an zahllosen unvorhersehbaren Stellen einzuschlagen. Viel wird davon abhängen, ob und wie verantwortungsbewusst andere Bundesländer nachziehen. Dem ökonomischen Druck der Haushaltssanierung werden sie sich wohl beugen.
Kein Interesse an Eskalation
Aus NRW ließ sich vernehmen, in welche Richtung die Debatte politisch ausschlagen könnte: noch mehr Autoritarismus. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte, wenn Vereine nicht zur Kasse gebeten werden wollten, „müssen sie liefern und mehr Maßnahmen ergreifen als bisher“. Eine weitere Eskalation der Polizeimaßnahmen befürchten auch die Fanorganisationen. Viele Linke ohne Fußballbezug jubelten nach dem Entscheid, endlich müsse man nicht mehr für prügelnde Männer zahlen. Das ist naiv.
Tatsächlich stehen die Polizeieinsätze in keinem Verhältnis zur Sicherheitslage im Fußball. Hier wird auch eine kritische, subversive Szene immer autoritärer kleingehalten. Die Sorge kritischer Fans, dass die Polizei den Blankoscheck dankend annimmt, ist berechtigt. Interessanterweise könnte aber auch der gegenteilige Effekt eintreten.
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat angekündigt, sie wolle sich nun dafür einsetzen, dass bei den Polizeieinsätzen „die Kriterien konkretisiert und die Einsatzplanung transparenter gestaltet werden“. Eine uralte linke Forderung, die da von der neoliberalen Interessenvertretung kommt. Wenn der Fußball die Zeche zahlt, hat er plötzlich wenig Interesse, dass sie eskaliert. Und die Profiklubs sind mächtige Player. Hochrisikoeinsätze der Polizei werden sie nicht mehr ganz so sorglos hinnehmen.
Der Fall Bremen vs. DFL könnte im besten Ausgang einen unfreiwilligen Effekt haben: die Polizeiarbeit beim Fußball ein Stück demokratisieren. Die Fanorganisation „Unsere Kurve“ fordert, dass auch Fans dabei gehört werden. Das ist erfahrungsgemäß deutlich schwerer zu erstreiten. Aber die Chance für eine demokratischere Einsatzplanung ist da. Die Statistiken für 2023/24 zeigen, dass beim Fußball rund jede fünfte Straftat außerhalb des Stadions geschieht, oft an Bahnhöfen oder im Zug.
Vor allem Frauen, Queers und Menschen of Colour wissen, wie potenziell gefährlich es ist, etwa mit Fangruppen im Zug zu fahren. Der Fußball hat jetzt die Chance, Sicherheit umfassender und anders zu denken. Mehr Unterstützung für die sozialarbeiterischen Fanprojekte, sichere Anlaufstellen an Bahnhöfen und Stadionwegen, mehr Awareness-Konzepte im Stadion, mehr geschulte Sicherheitskräfte in einzelnen Zügen, deeskalierende Kontaktbeamte.
Leider ist der Zeitgeist nicht auf Seiten sinnvoller Sicherheitspolitik. Offen ist ein großes Fenster aller Möglichkeiten. Welche Geister der Bremer Vorstoß ruft, hängt auch davon ab, wie verantwortungsbewusst die Politik nun Gesetze schreibt. Oder eben nicht.