Migration ist eines der großen Themen im Bundestagswahlkampf. Die Dorfener Grünen haben es für ihre zentrale Wahlkampfveranstaltung gewählt. So wie vor vier Jahren auch schon, erinnerte Winfried Eckert, der als Moderator durch den gut besuchten Abend im „Bluespunkt“ in Oberdorfen leitete. Seit 2021 habe sich „allerdings gewaltig was geändert“, sagte Eckert. Migration sei zum „alles beherrschenden Thema geworden und an allem sollen Migranten und Migrantinnen schuld sein“, bis hin zu Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.
Die Dorfener Grünen hatten einen „Faktencheck zu Migration, Flucht und Integration“ mit drei Fachleuten angekündigt. Aus München waren die Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel, die Vorsitzende des Petitionsausschusses und Fraktionssprecherin für Integration, und der Soziologe Stephan Dünnwald, Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats, in den Bluespunkt gekommen. Als lokaler Experte auf dem Diskussionspodium war der Sozialpädagoge Franz Leutner, einer der Sprecher des Vereins Flüchtlingshilfe Dorfen, dabei.
Eine starke Diskussion kam zwar an diesem Abend nicht zustande, dazu waren sich die drei Fachleute zu einig in ihren grundsätzlichen Positionen, die zudem auch vom Publikum wohl weitgehend geteilt wurden. Stark war die Veranstaltung dennoch dank der Fülle pointierter und von Expertise getragener Feststellungen zu Migration, Flucht und Integration im Gegensatz zu den oberflächlichen, vereinfachten oder schlichtweg falschen Behauptungen und Forderungen, die die nicht selten die öffentliche Debatte prägen.
Gülseren Demirel konnte unter anderem aus ihrer Arbeit im Petitionsausschuss berichten, wo ein großer Teil der Eingaben mit Migration und Flucht zusammenhingen. Häufige Themen seien die Verweigerung von Arbeitserlaubnissen oder die kaum nachvollziehbare Vorgabe, eine Ausbildung zu unterbrechen und auszureisen, um dann mit einem offiziellen Visum wieder einreisen zu dürfen. „Wir erleben in der Realität, dass Integration verweigert wird“, sagte Demirel. Stephan Dünnwald führte aus, dass derartige Unterbrechungen laufender Ausbildungen nicht selten Monate dauerten und die Betroffenen und ihre Ausbildungsbetriebe viel Geld kosteten. „Das ist wirtschaftsschädigend“, sagte Dünnwald, und passiere „nur, weil die bayerische Staatsregierung ihr Ding durchsetzen will“.
Ein großes Problem für Geflüchtete ist der Zugang zum Arbeitsmarkt
Ein großes Problem sei nach wie vor für Geflüchtete der Zugang zum Arbeitsmarkt. Darunter falle auch die nicht selten verweigerte oder verkomplizierte Anerkennung von Berufsabschlüssen und Qualifikationen, die es nicht nur den Menschen, sondern auch ihren Arbeitgebern schwierig mache. Demirel nannte das Beispiel einer ausländischen Kinderpflegerin, die eine Arbeitserlaubnis nur für eine ganz bestimmte Caritas-Kita erhalten haben und nicht in einer anderen Einrichtung der Caritas eingesetzt werden durfte, obwohl dort akuter Personalnotstand herrschte.
:Der Landkreis Freising braucht Migration und Vielfalt
Politiker diskutieren während einer Veranstaltung des Integrationsbeirats, wie die Aufnahme von Menschen mit Migrationshintergrund verbessert werden könnte.
Stephan Dünnwald kritisierte Politiker wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der Ende September 2023 verlangt hatte, dass Geflüchtete nach drei Monaten arbeiten müssen. Dünnwald sagte, „hier werden nur Sprüche geklopft“. Landespolitiker hätten nicht die Möglichkeit in diesem Bereich eigene Entscheidungen zu treffen. „Hier gelten Bundesgesetze.“ Das gleichwohl immer wieder rechtswidrige oder nicht umsetzbare Forderungen erhoben würden, sei unfair und destruktiv. „Diese Art von Politik ist unerträglich“.
Gülseren Demirel beklagte, dass viel zu wenig für die Integration getan werde. „Der Staat zieht sich aus der Verantwortung.“ So gebe es zu wenig Geld für Sprachkurse, obwohl „Sprache die Grundlage“ für ein Miteinander sei. Stephan Dünnwald sagte, dass für etwa 1000 Menschen in den Aufnahmeeinrichtungen in Deggendorf im vergangenen Jahr nur ein einziger Sprachkurs angeboten wurde, in Fürstenfeldbruck seien es zwei Kurse für 700 Menschen gewesen. Dabei erhalte nach wie vor die große Mehrheit der Menschen, die in Deutschland Asyl beantrage, eine Anerkennung ihrer Schutzbedürftigkeit.
Franz Leutner setzte in seiner Analyse noch grundsätzlicher an als Demirel und Dünnwald. Es müsse in der Gesellschaft doch eigentlich „Konsens sein, dass man Menschen anständig behandelt, unabhängig von Rasse, unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft“. Geflüchtete müssten sich in Deutschland jedoch oft als „Menschen zweiter Klasse“ fühlen. Am schlimmste sei, dass der Staat sich nicht ausreichend um die Kinder sorge. Das sei aber auch vielen in der deutschen Gesellschaft offenbar ganz egal, es gebe „zu wenig kritische Öffentlichkeit.“