Das Wahlprogramm der AfD hat fast hundert Seiten, auf denen neben viel Wortgeklingel Bekenntnisse zu einer verschärften Migrationspolitik, zum Ausstieg aus der EU und einer russlandfreundlichen Politik stehen. Diesem offiziellen Wahlprogramm hat das Magazin „Katapult“ nun das angeblich „echte“ Wahlprogramm der AfD entgegengestellt, das die wahren Ziele der Partei entlarven soll: 40 Zitate von „AfD-Leuten“ hat Benjamin Fredrich, der Gründer von „Katapult“, zusammengetragen. Sie werden unkommentiert abgedruckt, denn sie sollen laut „Katapult“ für sich selbst sprechen und zeigen, wie extrem die Partei tatsächlich ist.
Auf die Idee ist Fredrich laut Editorial gekommen, weil er seinen guten Freund Toni, der die AfD bislang für „gar nicht so gefährlich“ gehalten habe, mit den Zitaten umstimmen konnte. Und was bei Toni klappt, wird auch beim Rest der Wähler funktionieren, scheint sich Fredrich gedacht zu haben und sammelt nun eifrig Geld, um die teilweise menschenverachtenden Äußerungen der „AfD-Leute“ in Umlauf zu bringen. Nun kennen wir Toni nicht; mag ja sein, dass er die vergangenen Jahre als Eremit im Himalaya verbracht hat, fernab von jedem Internetanschluss.
Bürgerkrieg mit Millionen Toten
Jeder andere politisch auch nur mäßig interessierte deutsche Nachrichtenkonsument weiß spätestens seit der Bundestagsdebatte über ein AfD-Verbot, dass es in der Partei rechtsextremistische Tendenzen gibt. Und die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat schon 2023 festgestellt, dass die Aussage „Björn Höcke ist ein Nazi“ keine strafbare Beleidigung, sondern ein zulässiges Werturteil ist, weil es an Tatsachen anknüpfe.
Nun ist das größte Problem der Aktion aber nicht, dass „Katapult“ Altbekanntes noch einmal auf Papier drucken will und auch nicht – wie viele Kritiker meinen – dass es der AfD erst recht Wählerstimmen zuspült, wenn die Menschen erfahren, dass AfD-Funktionäre sich „einen Bürgerkrieg mit Millionen Toten“ wünschen, Gastarbeiter als „Gesindel“ bezeichnen oder Linksextreme eine „Wucherung am deutschen Volkskörper“.
Das größte Problem mit den 40 Zitaten ist, dass die Hälfte davon von Personen stammt, die gar keine AfD-Mitglieder mehr sind. André Poggenburg, Thomas Seitz, und Jörg Meuthen sind vor Jahren aus der Partei ausgetreten, Nicolaus Fest wurde im vergangenen Jahr von der AfD ausgeschlossen und Marcel Grauf arbeitet längst nicht mehr im Landtag von Baden-Württemberg.
Bestätigung der Opferrolle
Eine bessere Steilvorlage als diese könnte die AfD sich nicht wünschen, denn anstatt die Radikalität der Partei zu beweisen, könnte man sie auch als Beleg des Gegenteils anführen in dem Sinne: „Seht her, wir haben uns von den radikalen und antidemokratischen Kräften getrennt!“
Und auch die Zitate selbst sind teilweise nicht belegt oder verkürzt wiedergegeben. „Das Pack erschießen oder zurück nach Afrika prügeln“ soll der frühere AfD-Lokalpolitiker Dieter Grönert auf einem privaten Profil getwittert haben, von dem sich keine archivierte Version finden lässt.
Ähnlich wie die unsaubere Correctiv-Recherche, die als „Geheimplan zur Vertreibung von Millionen Deutschen“ verkauft wurde und sich am Ende als zusammengewürfeltes Treffen rechter Netzwerker herausstellte, bewirkt diese Art von aktivistischem Journalismus das Gegenteil dessen, was sie bezweckt: Die AfD und ihre Anhänger dürfen sich in ihrer Opferrolle bestätigt sehen.